Memo: Die Verschlimmbesserer

Das Katapult-Magazin hat sich viel Kritik eingehandelt. Über eine halbe Million Mal wollte es »das echte AfD-Wahlprogramm« unter die Wähler bringen. Gemeint war damit der Abdruck von (angeblichen) AfD-Zitaten – und zwar unkommentiert –, die zeigen sollen, »wie extrem die Partei tatsächlich ist«. Auch ich habe für die Süddeutsche Zeitung eine kritische Einordnung vorgenommen, wovon es aber, wie bei solchen Artikeln üblich, nur ein Schnipsel in den Text geschafft hat. Im Gegensatz zu den anderen Kritikern kann ich allerdings die Empörung nicht teilen.

Man kann die Aktion, ganz grundsätzlich, als verfehlt bezeichnen, weil sie am Kern dessen vorbei geht, was Wähler zu der AfD treibt. Die effektiven Stellschrauben im Kampf gegen rechts liegen eben nicht darin, die Leute überzeugen wollen, wie schlimm die Rechtsaußenpartei ist. Der Ansatz ist ausgelutscht und hat sogar Potential, das Gegenteil zu bewirken. Wichtiger wäre es, politische Alternativen zu entwickeln, die AfD-Wähler zurückgewinnen können. Leider beschäftigt sich das linke Lager lieber obsessiv mit der AfD und/oder weigert sich, die Themen anzupacken, die jene Wähler bewegt.

Dennoch ist nicht ganz auszuschließen, dass so eine Sammlung, wie sie Katapult-Herausgeber Benjamin Fredrich vorhatte, bei manchen ein Nachdenken bewirken kann. Nämlich dann, wenn es von Akteuren kommt, die bei denen, die zur AfD tendieren, noch Glaubwürdigkeit genießen und nicht affektiv in die Schublade der als weltfremd wahrgenommen (Neo-)Linken einsortiert werden. Dass das Katapult-Magazin diese Voraussetzung erfüllt, darf man bezweifeln. Fredrichs Idee, die Sammlung unkommentiert zu verbreiten, ist hingegen gegen die Kritik in Schutz zu nehmen. Warum?

Mal abgesehen davon, dass Fredrichs Magazin, wie sich indessen zeigte, recht schlampig gearbeitet hat (viele Zitate stammen von ehemaligen AfDlern), ist die Aktion zwar verfehlt, aber – so wie sie ursprünglich gedacht war – nicht grundsätzlich falsch. Wenn man sie schon macht, dann auf jeden Fall unkommentiert. Denn dass die Sammlung potentiell das Gegenteil bewirken könne, geschähe nämlich nicht dadurch, dass die Zitate viele Menschen ansprechen oder gar überzeugend auf sie wirken würden, wie sich das die meisten Kritiker, auch der akademischen Art, vereinfachend vorstellen.

Das Gerede davon, dass die Leute »die AfD nicht trotz, sondern wegen solcher Aussagen wählen«, ist eine postfaktische Plattitüde, mindestens aber eine pauschalisierende Simplifizierung, die sich zu einem selbstgerechten talking point der Neolinken entwickelt hat. Leider wird sie auch von zahlreichen mittelmäßigen Akademikern wiederholt, die ihre wissenschaftliche Arbeit dem milieuspezifischen Gruppendenken unterordnen. Opportunisten gibt es dort nun mal ebenso wie im Rest der Gesellschaft. Eine empirische Grundlage gibt es für so eine klare Vereindeutigung jedenfalls nicht.

Aus der Meinungsforschung wissen wir, dass rechtsextreme Einstellungen nicht so verbreitet sind, wie es der Zuspruch für die AfD nahelegt. Gewiss, es gibt bei ihrer Wählerschaft einen bedenklichen Sockel solcher Wähler – und er mag momentan auch zunehmen –, aber das Ausmaß des AfD-Erfolgs lässt sich damit nicht erklären. Vielmehr sind mittlerweile viele bereit, die AfD zu wählen, ohne wirklich von ihr überzeugt zu sein. Abstoßung und Entfremdung vom linken Lager spielen dabei eine zentrale Rolle – und wo es keine Antwort darauf gibt, droht die Bindung zur AfD intensiver zu werden.

Selbstredend kann es dem linken Lager nicht darum gehen, den rechtsextremem Sockel zu überzeugen, sondern nur darum, jene zurückzugewinnen, die sich in den vergangenen Jahren etwa von der SPD oder der Linkspartei ab- und aus Protest oder Verlegenheit der AfD zugewandt haben. Das ist das kritische Segment, auf das es ankommt – und das den Unterschied macht, ob die Partei eine unangenehme Erscheinung oder ein Machtaspirant ist. Auf dieses Segment, das die AfD tatsächlich trotz und nicht wegen ihrer Inhalte wählt, hätte so eine Aktion abzuzielen.

Es ist hier wichtig zu verstehen, dass die Hinwendung zur AfD zum einen mit einem Versagen der anderen Parteien bei bestimmten Themen zu tun hat und zum anderen auch mit dem Umgang des linken Lagers mit der AfD und ihren Wählern selbst. Letzteres kann man unter anderem mit dem Flugsandeffekt erklären: Man mag die Positionen der extremen Rechten nicht teilen, kann aber den Umgang mit abweichenden Meinungen selbst als problematisch empfinden. Und das kann letztlich in eine Sympathie mit den betroffenen Akteuren und ihren Inhalten umschlagen.

Der aktuelle, nicht funktionierende Kampf gegen rechts produziert Reaktanzeffekte am Fließband. Er wird als repressiv und weltfremd wahrgenommen: als eine Politik, die sich um bestimmte Probleme nicht nur nicht kümmern wolle, sondern auch Debatten darüber moralisch zu unterbinden versuche. Eine Aktion wie die von Katapult muss sich dieses Hintergrunds bewusst sein. Denn sie dürfte grundsätzlich, egal in welchem Zuschnitt, mit dieser Politik assoziiert werden. Sie kann daher das Genervtsein von der Bevormundung beim Thema AfD weiter steigern.

Man kann hier Fredrich, der die Zitate zumindest unkommentiert bringen wollte, eine gute Intuition attestieren. Denn damit wäre der Effekt immerhin abgefedert. Nichts wäre schlimmer, als die Zitate noch mit den üblichen Erklärungen im neolinken, oftmals vulgärwissenschaftlich begründeten Deutungsmuster zu versehen. Denn genau das ist es, wo (potentielle) AfD-Wähler sofort dicht machen und sich – nun ja – in ihrer Weltsicht bestätigt sehen würden. Es ist geradezu bezeichnend, dass sich die Vertreter dieser Deutungsmuster gerade über die Abwesenheit einer Kommentierung empören.

So zitiert der Spiegel etwa eine neolinke Aktivistin folgendermaßen: »Natürlich ist es wichtig, sichtbar zu machen, was genau von AfD Politiker*innen gesagt wird, aber nicht so. Nicht unkommentiert.« Diese Auffassung ist geradezu einfältig und steht für genau das Gruppendenken, das die sozio-politischen Milieus jenseits des neolinken Bildungsbürgertums regelrecht verachten und den Aufstieg der AfD co-produziert hat. Fredrich versuchte außerhalb dieser Gewissheiten zu denken. Leider hat er sich dem moralischen Druck, der oft im akademischen Gewand daherkommt, gebeugt.

Denn indessen hat Katapult verkündet, dass es die Aktion anpassen wird: Die Zitate sollen mit einem »kontextualisierenden Begleittext« versehen werden. Unerheblich ist dabei, dass es nicht mehr massenweise verbreitet werden, sondern primär als Argumentationsstütze dienen soll. Wo Multiplikatoren mit den üblichen Argumentationsmustern die Menschen belehren, ist Reaktanz garantiert. Dasselbe gilt für das nun angedachte »Buch zum Stand der Forschung«, die momentan eher ideologische Gewissheiten reproduziert, aber kaum kritische Wissenschaft betreibt.

Man kann nur raten, auf die neolinke Empörung nicht zu hören, auch und gerade wenn sie von ihren akademischen Vertretern kommt. Sie steht für eine gesinnungsethische Linke, die immer noch nicht verstanden hat, wie die Reaktionsmuster im aktuellen politischen Wettbewerb funktionieren. Ihr wissenschaftlicher Arm will sich mit derlei toxischen Interaktionsdynamiken und unbeabsichtigten Effekten nicht einmal beschäftigen und betreibt ein motivated reasoning, das jegliche Hinweise auf diese ignoriert und bei den immer gleichen Narrativen landet.

Dabei liefert Katapult selbst einen interessanten Hinweis. In seinem Kniefalltext schreibt das Magazin, dass viele Kritiker »aus Wissenschaft, Journalismus und Aktivismus«, mit denen es geredet hat, »einigermaßen rat- und hoffnungslos geworden sind«. Eben. Es handelt sich hier nämlich um ein Milieu, das sich in seinen Gewissheiten eingerichtet hat und jeden Versuch, das Problem anders zu denken oder anzugehen, sabotiert. So ja auch die Katapult-Aktion, die nun wieder in die gewohnte Bahn gedrängt wurde. Eine empirische Erfahrung, die es eines Besseren belehren könnte, wird so verbaut.

Die ursprüngliche Aktion mag am Kern des Problems vorbeigehen; sie hatte aber zumindest ein gewisses disruptiv-persuasives PotentiaI. Nun wurde sie verschlimmbessert; es gibt nun ein Mehr von dem, was schon die ganze Zeit nicht funktioniert. Im Endeffekt geht es jenen Kritikern nicht mal darum, die AfD kleinzubekommen, sondern lediglich darum, dem eigenen politischen Milieu zu zeigen, wie tugendhaft man doch sei. Und das zahlt indirekt auf das rechte Konto ein. Wer wirklich etwas gegen den Rechtsruck tun will, sollte im Zweifelsfall das Gegenteil tun. Schlechter Rat kommt teuer.

Siehe dazu auch: Saladin Salem, »›Katapult‹-Aktion: Sätze zum Fürchten«, in: Süddeutsche Zeitung, 14. Januar 2025 (online hier).