Anmerkungen zur Berichterstattung | 18. Januar 2024
Für Journalisten ist zunächst einmal von Interesse, wie die Spitze der AfD auf den Correctiv-Bericht bzw. dessen Echo reagiert. Oder gar weitergefragt: Lässt sich eine kommunikative Strategie erkennen? Über letzteres lässt sich von außen nur spekulieren. Ohne Insiderwissen aus den Entscheiderkreisen lässt sich nur schwer zwischen strategischem und reflexhaftem oder getriebenem Handeln unterscheiden. Aber es lassen sich die Handlungsweisen auf ihre Charakteristika und (möglichen) Funktionen hin analysieren – ob diese nun einem strategischen Kalkül oder milieuspezifischen Impulsen und Routinen folgen.
Konkret zählt dazu etwa, dass die Parteispitze der AfD (erwartungsgemäß) bemüht ist, das umstrittene Treffen in Potsdam als eine private Veranstaltung einzustufen. Man distanziert sich dabei von deren Inhalten mit dem Verweis auf die offizielle Programmatik der Partei, die sich damit nicht decke. Zum Teil wird auf mittlerer Führungsebene auch mit Spott auf die Berichterstattung reagiert, womit man womöglich die Öffentlichkeit und/oder sich selbst von den brisanten Aspekten des Treffens abzulenken versucht. Diese Form der Reaktion sah man bei der Partei auch schon bei der Festnahme der Reichsbürger im Dezember 2022. Darüber hinaus fallen die Bewertungen allerdings schwerer aus.

Komplizierter als es dargestellt wird: Kalkül und Position der AfD
Zu erörtern wäre hier etwa die Entlassung Roland Hartwigs als Referent der Co-Chefin Alice Weidel. Er soll an dem Treffen teilgenommen haben, wenn auch nicht im Auftrag der Partei. Auch diese Entlassung ist aus strategischer Perspektive schwer einzuordnen. Hartwig könnte – so eine Interpretation, die vielen naheliegen dürfte – ein Bauernopfer sein, an dem man Distanz zu dem Treffen demonstrieren kann. Vielleicht ist es aber auch banaler: eine logische Konsequenz des Arbeitgebers daraus, dass Hartwig unvorsichtig oder gar regelbrüchig gehandelt und der AfD diesen Sturm eingebrockt hat. Oder aber es wurde hier doch auch weitergedacht – nämlich mit Blick darauf, dass sich die AfD unter Beobachtung in Sachen Verfassungsfeindlichkeit befindet. Hier ist es nicht ganz unerheblich, wie sich der Partei zuzuordnende Personen auch individuell politisch verhalten. Denn Aussagen und Handlungen einer assoziierten Person können nach vorherrschender Auffassung im Äußerungsrecht der Assoziation zugeordnet werden, wenn diese keine missbilligenden Maßnahmen dagegen ergreift.
Verkompliziert wird die Frage der kommunikativen Strategie zudem dadurch, dass sie im Schatten einer vorgelagerten Frage steht, nämlich ob die AfD insgeheim umfassende Remigrationspläne hat, diese aber bewusst moderater kommuniziert. Dies könnte sie, gängigen Annahmen zufolge, etwa tun, weil sie einerseits kein Material für ein Verbotsverfahren liefern möchte, andererseits aber weiterhin angenommene Vertreibungsfantasien rechtsextremer Unterstützer bedienen möchte. Ehrlicherweise lässt sich aber auch das nur schwer bewerten, zumal so ein konsistentes Kalkül sich ohnehin nur bestimmten Kreisen in der AfD zuordnen ließe. Denn insgesamt gibt es dort keinen einheitlichen Plan, auch nicht hinter vorgehaltener Hand. Vielmehr ist man sich da nicht einmal einig, wie mit den hiesigen Muslimen, dem vermeintlichen Feindbild Nummer eins, umzugehen sei.
Es gibt in der AfD moderatere Kräfte, die eine striktere Zuwanderungspolitik wollen, nationalistische Kräfte, die Möglichkeiten der Abschiebung maximal ausschöpfen wollen, und eben völkische Hardliner, die – und das wäre in der Tat verfassungsfeindlich – selbst Menschen mit deutschem Pass loswerden wollen. Der Einfluss der letzten Gruppe ist zuletzt immer größer geworden. Sie propagiert seit jeher die Wiederherstellung eines homogenen Ethnostaats, und natürlich hält sie sich in der breiteren Öffentlichkeit mit Verlautbarungen zurück, was das in der Umsetzung konkret bedeuten würde. Jenseits offizieller Programme und der medialen Bühne aber wird das sehr wohl ausgesprochen – und eigentlich ist es auch selbsterklärend, dass ein solches Ziel drastische Maßnahmen impliziert. Björn Höcke spricht von »wohltemperierter Grausamkeit«. Das ist allerdings immer (noch) nicht gleichzusetzen mit der vorherrschenden AfD-Linie – und mit dem Postdamer Treffen hat das auch nur wenig zu tun.
Auch im Umgang mit der AfD unerlässlich: Differenzierung und Sachlichkeit
Gleichwohl lässt sich durchaus sagen, dass insbesondere an der Parteibasis, in der Parteijugend, aber auch bei mittleren Funktionären es mittlerweile ziemlich offen ausgesprochen wird, wenn man extremere Ziele verfolgt. Hier zeigt sich eine Normalisierung der Völkischen, die schon immer in ihren einschlägigen Formaten frei kommunizierten, dass sie auf eine Rückabwicklung der Migrationsgesellschaft auch mit drastischen Mittlen abzielen. Auch das Schlagwort der Remigration, das v.a. im Kontext der Identitären Bewegung geläufig ist, versucht man eine Weile schon zu popularisieren, wobei – ironischerweise – die momentane Berichterstattung wohl den Durchbruch bringt. Was hier aber gerade neu zusammenkommt, ist zum einen der zunehmende Einfluss der Hardliner in der AfD und zum anderen, dass diese sich ob der letzten Umfragen immer selbstsicherer fühlen. Zudem wächst mit der realistisch werdenden Machtperspektive bei einigen das Bedürfnis, durchzubuchstabieren, was Remigration praktisch bedeutet. Zum Beispiel, wenn man, wie wohl in Potsdam geschehen, diskutiert, was rechtlich möglich ist bei Abschiebungen – und bei welchen Vorhaben es extralegaler Maßnahmen oder neuer Gesetze bedarf.
Hier gilt es durchaus zu differenzieren. Es mögen viele verleitet sein, dass Sachlichkeitsgebot bei der AfD auszusetzen. Dies schadet aber der sachlichen Wahrheitsfindung im gesellschaftspolitischen Diskurs insgesamt – und hilft damit langfristig Extremisten und Verschwörungsideologen. Leider zeugen der Correctiv-Bericht und seine Kanonisierung aber von Indifferenzen und Unredlichkeiten. Es ist ein dramatisches Framing, das hier stattfindet und durch sprachgewaltige Begriffe offensichtlich Emotionen befördern soll. Die Rede von den Deportationen ist im technischen Sinne zwar vertretbar; in diesem Sinne fallen aber auch die von der Regierung routinemäßig durchgeführten Abschiebungen darunter. Er erschließt sich sachlich nicht, warum dieser Begriff (oder auch der der Vertreibung) so exklusiv und prominent hier Anwendung findet, um die Remigrationsüberlegungen eines Martin Sellner, der in Potsdam referierte, zusammenzufassen. Überhaupt wird in der Berichterstattung kaum bis gar nicht differenziert diskutiert, inwieweit es hier um Maßnahmen geht, die sich auf bestehendes Rechtsinstrumentarium beziehen, oder um solche, die tatsächlich verfassungsfeindlich sind.
Als kritikabel kann man auch die Rede von einem »Geheimtreffen« betrachten, das im Grunde schlicht ein nicht-öffentliches Treffen von einem privaten, wenn auch rechtsextremen Netzwerk war. Ebenso gilt das für die klare Verbindung jenes »Geheimtreffens« bzw. »Geheimplans« mit der AfD, aus der lediglich Einzelpersonen ohne Auftrag teilnahmen. Vor allem aber ist die Rede von einer »Wannseekonferenz 2.0« mehr als problematisch. Hier lässt sich plausibel eine implizite Holocaustrelativierung behaupten, handelt es sich dabei doch um eine Chiffre für die sogenannte Endlösung – ein maßloser Vergleich. Überhaupt scheint unklar zu sein, inwiefern wir es bei dem Bericht wirklich mit einer Schilderung von Tatsachen zu tun haben, weist er doch einen hohen Anteil an Meinung auf. Auch dass der Bericht lange geplant und seine Veröffentlichung mit einer Theaterinszenierung flankiert wird, rückt das Ganze in ein merkwürdiges Licht. Hier ist nicht nur ein juristisches Nachspiel zu erwarten, sondern womöglich auch ein diskursives. Mit etwas Abstand und kritischer Prüfung könnte der Bericht noch an Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit verlieren. Auch die Frage, warum er so unkritisch von vielen Medien kolportiert wurde, könnte dabei eine Rolle spielen. Hier liegen Potentiale, dass die daraus generierte Anti-AfD-Stimmung noch zurückfedern und die Medienkritik von Rechtsaußen bestärken könnte. Im Mindesten könnte es diejenigen, die sich bereits der AfD zugewandt haben, in ihrer Haltung verhärten.
Siehe dazu auch: »Correctiv-Korrektiv«, persönliche Meldung vom 11. Januar 2024 zum Beitrag von Oliver Klein, Nils Metzger & Jan Henrich, »Nach Correctiv-Enthüllungen: AfD-Vertreter bekräftigen Ausweisungs-Pläne«, auf: ZDF, 11. Januar 2024 (online hier).
