Anmerkungen zur zivilgesellschaftlichen Praxis | 6. Dezember 2023
Um zu bewerten, wie ein guter Umgang mit Kräften von Rechtsaußen aussehen sollte, bedarf es zunächst einer Einordnung, inwiefern der Aufstieg des Rechtsextremismus mit der Digitalisierung zusammenhängt. Das ist das zentrale Thema meiner Arbeit, insbesondere die Frage, wie die Funktionsweise der sozialen Medien rechtextremen Strategien in die Hände spielt. Mit Maik Fielitz setzte ich mich damit seit Jahren auseinander, etwa in Form des Buchs Digitaler Faschismus. In der von uns aufgebauten Forschungsstelle der BAG »Gegen Hass im Netz« findet diese Arbeit ihre Fortsetzung. Unsere zentrale These, dass der digitalen Öffentlichkeit im Allgemeinen und den sozialen Medien im Besonderen etwas Toxisches innewohnt und dass hier neue Einfallstore für postfaktische Inhalte entstanden sind, die der extremen Rechten nutzen, ist mittlerweile eine gängige Annahme im breiteren Diskurs. Auch der Umstand, dass es in digitalen Räumen sehr emotionalisiert zugeht, ist viel diskutiert worden. Das ist besonders von Interesse, weil die politischen Ziele der extremen Rechten und die dafür nötigen Maßnahmen eine emotionale Grundlage benötigen, um zu verfangen.
Immerhin handelt es sich dabei um extreme Ziele, die eine gewisse Skrupellosigkeit voraussetzen. Björn Höcke etwa spricht selbst davon, dass Schritte notwendig seien, die dem allgemeinen moralischen Empfinden zuwiderlaufen. Massenabschiebungen zwecks Homogenisierung des Landes, in Kombination mit einer autoritären Politik, die die Repression von Mitbürgern beinhaltet, die beim Umbau der Gesellschaft stören: all das ist sehr rechtfertigungsintensiv. Allein mit sachlichen Argumenten ist dafür keine Akzeptanz herzustellen. Es braucht dafür Narrative, die das Gefühl einer Bedrohung vermitteln – und so die nötige Empfänglichkeit vorbereiten. Der digitale Raum ist prädestiniert für so eine Emotionalisierung. Zum einen, weil dort sachliche, nüchterne Inhalte ins Hintertreffen des öffentlichen Diskurses geraten. Zum anderen, weil sich durch die Interaktionsdynamiken der sozialen Medien Diskurse leicht emotional hochschaukeln – auch und gerade, weil sich die Leute dort persönlich viel stärker involvieren lassen.

Das größere Bild: Nationale und internationale Entwicklungen
Das sind, im Groben, ein paar der Bedingungen, unter denen sich der Rechtsextremismus seit einer Weile im Digitalen günstig entwickelt. Doch auch wenn ihm das neue Möglichkeiten der Entfaltung gegeben hat, heißt das nicht, dass die Gesellschaft dagegen wehrlos sei. Oder besser gesagt: Die Digitalisierung ist eben Realität – und man muss mit ihr strategisch umgehen. Die Frage dabei ist, wie man der extremen Rechten Paroli bietet, ohne selbst in (kommunikative) Handlungslogiken zu verfallen, die sich in die Interaktionsdynamiken einfügen, von denen sich jene Rechte ein für ihre Emotionalisierung vorteilhaftes Klima erhoffen kann. Nicht zuletzt ist hier auch in besonderem Maße eine Reflexion des eigenen Vorgehens vonnöten, weil vor den destruktiven Mechanismen der sozialen Medien kein politisches Milieu gefeit ist: Sie alle können hier schnell emotionalen, postfaktischen oder gar anti-aufklärerischen Gruppendynamiken erliegen und Polarisierungsprozesse begünstigen.
Grundsätzlich ist zu vermerken, dass wir in Deutschland bis vor Kurzem noch in einer relativ komfortablen Situation waren. ›Relativ komfortabel‹ war sie zumindest im Vergleich zu anderen Ländern, wo die extreme Rechte bereits größere Fortschritte gemacht hat, zum Teil sogar an der Macht ist, wie etwa in Italien, oder sich anschickt, sie zu übernehmen, wie etwa in Frankreich. Insgesamt stehen wir vor neuen, besorgniserregenden Entwicklungen im internationalen Raum, die auch einen Ausstrahlungseffekt hierzulande haben können. Der Trumpismus drängt in den USA zurück an die Macht, in Argentinien hat gerade ein idiosynkratischer Populist die Präsidentschafts- und in den Niederlande Geert Wilders die Parlamentswahl gewonnen. Mit dem Erstarken der AfD droht sich auch Deutschland solchen Entwicklungen anzuschließen. Zweifellos macht sich ein Stimmungswandel bemerkbar: Viele haben das Gefühl, es könnte hier etwas kippen.
Sorge ist – auch mit Blick auf die weltpolitischen Ereignisse, die neue, auch innenpolitische Dynamiken hervorbringen – nicht nur berechtigt, wenn wir an die Landtagswahlen im neuen Jahr (gleich drei in den östlichen Bundesländern, wo die AfD besonders stark ist) oder auch die nächste Bundestagswahl denken. Es können auch jederzeit Ereignisse stattfinden, die die Situation weiter anheizen. Man stelle sich etwa vor, es käme hierzulande zu ein, zwei oder drei islamistischen Anschlägen. Oder auch zu erschütternden Vorfällen wie gerade in Irland oder in Frankreich geschehen, die die extreme Rechte als drastische Beispiele sogenannter Ausländergewalt sicher auszunutzen wüsste. Vielleicht werden dann Ausfälle wie in Chemnitz vor ein paar Jahren noch harmlos wirken. Und auch andere gesellschaftspolitische Debatten wie etwa um die Energie- oder Geschlechtspolitik bieten Potentiale, die Stimmung zugunsten der extremen Rechten zu schieben.
Der nüchterne Blick: Strategischer Umgang mit der Realität
Gewiss, um den Rechtsextremismus nachhaltig einzudämmen, bedarf es ein Umsteuern in verschiedenen politischen Bereichen. Da mögen die Stimmen vom linken Rand nicht unrecht haben. Ob aber die sozialen Ungleichheiten wirklich die Ursache schlechthin für rechtsextreme Empfänglichkeit sind, wie es materialistische Deutungen besagen, sei hier dahingestellt. Einen gewissen Sockel an Menschen mit entsprechenden Einstellungen gibt es schon lange in der BRD und auch in wohlständigen Gesellschaften immer wieder. Dass in der Bearbeitung von sozialen Fragen aber ein Potential liegt, um die Situation zu entspannen, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Das legt zumindest der Umstand nahe, dass der organisierte Rechtsextremismus jenen Sockel lange nicht ausschöpfen konnte. Was sich womöglich recht banal erklären lässt: Wer um seine (soziale) Sicherheit fürchtet, wer viele frustrierende Alltagserfahrungen macht, dem brennt womöglich die Migrationsfrage drängender unter den Nägeln. Gleichwohl aber braucht so ein nachhaltiger Ansatz viel Zeit, insbesondere auch deswegen, weil dafür ja erstmal parlamentarische Mehrheiten gewonnen werden müssen.
Viel ließe sich auch dazu sagen, was die Politik machen muss im digitalen Raum, etwa durch eine weitere politische Regulierung der sozialen Medien. Aber aus zivilgesellschaftlicher Sicht muss man da auch realistisch sein: Was hat man darauf überhaupt für einen Einfluss? Wie lange wird es dauern, bis bestimmte Regulationen implementiert sind und bis sie wirken? Sind sie möglicherweise nicht schnell wegen weiterer technologischer Entwicklungen überholt? Ja, wirken sie überhaupt wie gewünscht, sind sie vielleicht falsch konstruiert? Welche unerwünschten Nebeneffekte erzeugen sie? Durchaus wurde ja schon einiges unternommen in den vergangenen Jahren. Und dennoch stehen wir vor den gegenwärtigen Problemen. Möglicherweise hängen sie auch damit zusammen. Zumal derlei Maßnahmen auch selbst Anlass für weitere Polarisierung und/oder Radikalisierung sein können, etwa indem sie Kontroversen erzeugen, von denen die extreme Rechte profitiert. Zum Beispiel, wenn sie als Einschränkung der Meinungsfreiheit aufgefasst werden. Das kann Politisierungsschübe im schlechten Sinne mit sich bringen.
Man kann sich daher nicht auf die ›großen‹ Lösungen verlassen. Man muss schauen, wie man auch unter den gegebenen Bedingungen möglichst effektiv handelt. Und das ist eine Frage, die eigentlich noch vor der Frage der Finanzierung steht. Einfach nur der Zivilgesellschaft Geld zu geben, ist keine Lösung. Man muss auch wissen, was man mit dem Geld tut. Immerhin wurde die Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren durchaus gut finanziert. Und dennoch ist der sogenannte Kampf gegen rechts, wie es in einer aktuellen Spiegel-Analyse heißt, bis hierhin erstmal »misslungen«. Anders gesagt: Wir wären nicht in der jetzigen Situation, wenn die Rezepte von Politik und Zivilgesellschaft funktioniert hätten. Es muss daher auch die eigene Praxis hinterfragt werden. Nicht nur die Politik, auch die Zivilgesellschaft braucht (wissenschaftlichen) Rat, um ihre Praxis evidenzbasiert auszurichten: Was funktioniert, was funktioniert nicht? Eine üppig finanzierte Praxis, die wirkungslos ist oder sogar negative Effekte hervorbringt, kann nicht Sinn der Sache sein.
Die verstellte Perspektive: Mangelnde Varianz und Reflexion
Gewiss ist es auch ein Problem, dass es den zivilgesellschaftlichen Projekten an Kontinuität mangelt. Aber noch mehr mangelt es an einer Varianz in der Praxis, die es ermöglichen würde, diese effektiv zu evaluieren. Denn nur, wenn es unterschiedliche Strategien gibt, deren Effekte verglichen werden können, lässt sich wirklich feststellen, was gut, was minder und was gar nicht funktioniert. Den Anspruch eines evidenzbasierten Handelns ernst zu nehmen, würde aus wissenschaftlicher Sicht eigentlich voraussetzen, dass es zunächst Modellprojekte mit variierenden Ansätzen gibt. Deren Effekte wären dann zu untersuchen, um schließlich auf der Grundlage dieser Ergebnisse eine umfassende Finanzierung der Ansätze zu gewähren, die empirisch tatsächlich vielversprechend sind. Die gegenwärtigen Praxen der Zivilgesellschaft unterscheiden sich gegenwärtig aber allenfalls in ihren Arbeitsbereichen; was die politische Ausrichtung betrifft, sind sie sehr ähnlich gestrickt. Sie folgen den gleichen Grundannahmen und Handlungslogiken. Insbesondere kontraintuitive Ansätze sucht man vergebens.
Es ist kein Geheimnis, dass die NGOs, die sich gegen digitalen Hass richten, sozio-politisch äußerst homogen sind und – ihrer ideologischen Strukturierung entsprechend – eine gleiche Situationsdefinition teilen, aus der sich ihr Handeln ableitet. Ich werde darauf noch weiter eingehen; hier soll nur festgestellt sein, dass unter so einer Homogenität stets die Reflexion leidet. Grundsätzlich unterliegen die Akteure im Feld jedenfalls denselben Mechanismen des Gruppendenkens, die zu Pfadabhängigkeiten führen. Dazu gehören v.a. identitätsstützende Denkfehler, die dafür sorgen, dass selbst bei einer kontinuierlichen Praxis Erfahrungen nicht in die richtigen Schlussfolgerungen übersetzt werden. Ausdruck dieser – aus soziologischer Perspektive völlig normalen Kritikimmunisierung – ist mitunter auch, dass man sich fast ausschließlich damit befasst, was etwa rechtsextreme Akteure im digitalen Raum sagen und tun, aber kaum die Praxen der eigenen Gegenrede analysiert. Das wäre aber Voraussetzung, um die digitalen Interaktionsdynamiken verstehen zu können – und auch, ob man möglicherweise selbst zur Stärkung rechtsextremer Diskurse beiträgt, etwa durch Abstoßungseffekte.
Genau in diesem Konnex liegen aber die Stellschrauben, an denen die Zivilgesellschaft am meisten drehen kann, um dem Rechtsextremismus akut entgegenzuwirken. Taktische Anpassungen müssten gerade im digitalen Raum eigentlich fortwährend erfolgen. Umso mehr, da die extreme Rechte auch deswegen erfolgreich ist, weil sie sich stetig anpasst. Will man da nicht nur mit sich spielen lassen, muss man ineffiziente Ansätze, inkonsistente Signale, negative Nebenfolgen und Rückschlageffekte vor dem Hintergrund eines strategischen interplays identifizieren und abstellen. Das setzt aber voraus, dass man eigene Gewissheiten hinterfragen, sich über Gewohnheiten und Routinen erheben kann. Akteure, die sich nicht einfach von den Mechanismen des Gruppendenkens leiten und Konfliktroutinen reproduzieren wollen, brauchen – aus soziologischer Sicht – eine gewisse kritische Distanz zu sich selbst. Ohne den inneren Streit, der bei homogenen Milieus eher ausbleibt, gibt es aber kein solches strategisches »Emporirren«. Hier könnte dann zumindest Wissenschaft als das nötige Korrektiv wirken.
Der reflexive Ansatz: Rechte Raumgewinne als eigene Raumverluste
Doch auch das hat seine Voraussetzungen. Zum Beispiel eine grundlegende Bereitschaft wissenschaftliches Reflexionswissens annehmen zu wollen; auch das kann durch identitätsstützende Denkformen blockiert sein. Oder dass jene, das Feld bearbeitende Wissenschaft unabhängig ist oder zumindest mit identitärem Abstand zur Zivilgesellschaft operiert. Sonst unterliegt sie selbst den Problemen des Gruppendenkens oder wird gar Teil der Konfliktdynamik. In jedem Falle liegt dabei wenig Erkenntnispotential in Analysen, die Strategien und Effekte des Rechtsextremismus ›aus sich heraus‹ analysieren. Neben dem Kontextwissen zur politischen, sozialen und kulturellen Konstellation müssen v.a. auch die Denk- und Handlungsweisen der anderen Konfliktakteure – also auch der Zivilgesellschaft – und der audience, um welche die Akteure konkurrieren, berücksichtigt werden. Politische Strategien gehen eben nur auf, wenn der Gegner in der gegebenen Arena den Raum dafür gibt. Das heißt nicht, dass etwa die Zivilgesellschaft Schuld an den rechtsextremen Erfolgen trägt. Aber es gehört zur Erklärung dazu, warum die extreme Rechte an Raum gewinnt.
Wir leben in einer Zeit, wo sich die Demokratie im Umbruch befindet. Wir erleben eine digitale Transformation der politischen Ordnung. Und wir leben in Zeiten von multiplen Krisen, die mit seriellen weltpolitischen Schocks einhergehen. Das sind alles Bedingungen, die für Verunsicherung sorgen und das Potential für den Rechtsextremismus ständig reaktualisieren. Umso wichtiger ist es, umzudenken und auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren zu können. Leider konzentriert sich die zivilgesellschaftliche Arbeit vor allem darauf, aufzeigen zu wollen, warum die extreme Rechte eine Gefahr ist – und das nicht unbedingt in einer Weise, die auf jene Gruppen abzielt, die bereits in ihren Sog geraten sind oder für sie potentiell anfällig sind. Es gibt eigentlich keine ernsthafte Kampagne zur Zurückgewinnung von etwa AfD-Wählern. Zumindest keine, die sich als Angebote an diese verstehen lassen. Die Arbeit richtet sich in Form, Habitus und Inhalt fast ausschließlich an Milieus, die den zivilgesellschaftlichen Organisationen mehr oder weniger nahestehen.
Warum das so ist, darüber geben die Diskurse im Mitte-links-Spektrum selbst Aufschluss. Ein gängiges Narrativ ist etwa, dass sich AfD-Wähler nicht zurückgewinnen ließen; sie wüssten genau, was sie da wählen, täten dies aus Überzeugung. Ein Eingehen auf deren Empfinden der Realität führe zur weiteren Normalisierung des Rechtsextremismus; es könne lediglich darum gehen, die sog. Brandmauer zu halten. Das stellt aber nicht gerade eine rosige Perspektive dar, impliziert dies doch, dass man – bestenfalls – mit dem jetzigen Niveau rechtsextremer Mobilisierung leben oder – schlimmstenfalls – weiteren Schaden begrenzt halten möchte. Eingedenk dessen, dass transformative Ereignisse hier jederzeit weitere Verschiebungen erzeugen können und bei jungen Wählern, die nicht selten eine Anti-Establishment-Attitüde hervorbringen, noch Potential für die extreme Rechte liegt, erscheint das wie ein Risikospiel. Für eine wirkliche Wendung zum Guten muss man sich da insgeheim darauf verlassen, dass sich die AfD durch Skandale, Korruption und/oder Unseriösität bei ihren potentiellen Wählern selbst desavouiert – oder dass Sarah Wagenknecht ihr Stimmen abjagt.
Das sonderbare Problem: Ein Rechtsruck ohne Rechtsruck
Gewiss, es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, wie man Wähler der extremen Rechten zurückholt, ohne selbst problematische Politiken zu etablieren oder anzuregen. Sich dieser Frage aber zu entziehen, ist gar keine Antwort. Dabei weist einiges daraufhin, dass solch ein strategisches Ziel keineswegs aussichtlos ist. Dafür muss man sich nur vor Augen halten, dass sich gesellschaftspolitisch durchaus einiges getan hat in den vergangenen Jahrzehnten. Wie Simone Rafael richtig anmerkt (und wie auch Langzeituntersuchungen zu Einstellungsmustern zeigen), ist die Gesellschaft insgesamt progressiver geworden. Man denke hier etwa an den offenen Rassismus oder auch die schamlose Frauenfeindlichkeit im Mainstream noch der 1990er Jahre, der zudem in verschiedener Hinsicht normabweichende Lebensentwürfe sozial sanktionierte, die heute kaum mehr Aufregung erzeugen bzw. in den Mainstream integriert wurden. Grob gesagt: Während sich die AfD mit dem zunehmenden Einfluss insbesondere des Höcke-Flügels durchaus radikalisiert hat, ist der durchschnittliche AfD-Wähler heute womöglich immer noch fortschrittlicher als der gemeine CDU-Wähler vor 30, 40 Jahren.
Zwar diagnostizieren auf Einstellungsebene manche Studien, die den Begriff des Rechtsextremismus recht weit operationalisieren, akut eine starke Zunahme entsprechender Weltsichten. Die meisten Untersuchungen legen aber nicht gerade einen solchen Rechtsruck nahe. Die Autoren des vielbeachteten Buchs Triggerpunkte etwa betonen, dass die heutige Gesellschaft in ihren Grundwerten sogar recht nah beieinander ist. Und dennoch erleben wir nicht nur unversöhnliche Streits bei bestimmten Reizthemen, sondern auch die zunehmende Bereitschaft, eine zumindest in Teilen rechtsextreme Partei zu wählen. Der Rechtsruck bei der Parteienpräferenz geht also nicht unbedingt mit einem Rechtsruck bei den Einstellungen einher, wie Linus Westheuser feststellt. Gerade das lässt aber das strategische Versagen der etablierten Parteien und der Zivilgesellschaft sogar größer erscheinen. Immerhin bedeutet dies, dass die extreme Rechte weniger wegen einer Ausbreitung rechtsextremer Einstellungen an Raum gewinnt, sondern trotz eines hohen Maßes an Liberalität in der Gesellschaft.
Die Frage, wie und warum die Gegner des Rechtsextremismus signifikante Teile der Bevölkerung von sich abstoßen, ist daher wichtig. In Machine Against the Rage haben wir uns einem Aspekt dieser Frage gewidmet, nämlich wie der Umgang mit dem Rechtsextremismus diesem selbst zugutekommen kann. Festgestellt wurde dabei eine starke Vereindeutigung etwa im Diskurs um die sog. Brandmauer, mit der Akteure, die von vorherrschenden Auffassungen im linken Lager abweichen, schnell der Beihilfe zur rechtsextremen Normalisierung bezichtigt werden. Damit geht Ausgrenzung oder gar Ächtung einher, so dass es zu Spaltungen auch unter Akteuren kommt, die in den Grundwerten eigentlich nah beieinander sind. In Zeiten digitaler Hyperpolitik, wo politische Debatten fast schon alltäglich ausgetragen werden und zentral bei der Gemeinschaftsbildung sind, ist das nicht unwesentlich. Es werden hier – etwa durch den Entzug sozialer Anerkennung – Affekte erzeugt, die in nachhaltigen Aversionen kulminieren. Und das kann wiederum zu einer Neuformierung der politischen Orientierung führen, zumindest aber zu einer Entfremdung von (über-)eifrigen Gegnern des Rechtsextremismus.
Die kontraintuitive Lösung: Versachlichung statt Emotionalisierung
Für die AfD ist dieser Bindungsverlust die halbe Miete, wenn es um die Erschließung neuer Wähler geht. Als zentrale Herausforderung kann es daher angesehen werden, in den Debatten über den Rechtsextremismus die »digitale Contenance« zu wahren und die Emotionalität aus politischen Diskussionen herauszunehmen. In der Praxis geht der Trend aber intuitiv in die andere Richtung. Davon ausgehend, dass die extreme Rechte stark mit Emotionen arbeitet, sind zivilgesellschaftliche Akteure häufig verleitet, damit in Konkurrenz zu treten, indem man selbst emotionalisierende Narrative in den Vordergrund rückt und das Sachlichkeitsgebot aussetzt. Das aber greift zu kurz. Gewiss reproduziert man damit noch lange keine rechtsextremen Inhalte, man stärkt damit aber Diskursformen, die mittelfristig der extremen Rechten nutzen. Denn sie lassen wenig Raum für Differenzierung und Versachlichung, womit sie die Affekte der Vereindeutigung und die damit verbundenen Spaltungsmomente katalysieren. Auch wenn der Anspruch dabei ist, Fakten nur attraktiver zu verpacken, schafft die damit einhergehende Emotionalisierung eben auch Potentiale für postfaktische Inhalte von links.
Die allgemeine Relativierung von Wahrheit aber ist eine wesentliche Bedingung für rechtsextreme Erfolge. Damit wird das Spielfeld weiter so strukturiert, dass die extreme Rechte, die einer anti-aufklärerischen Logik folgt, einen strategischen Vorteil hat. In Digitaler Faschismus haben wir das Problem bereits 2020 adressiert und davor gewarnt, dass ein wachsender Online-Aktivismus gegen den Rechtsextremismus (der digitale Anti-Faschismus sozusagen), Gefahr läuft, den technisch vermittelten Gruppendynamiken zu unterliegen, die auch für den Bullshit von Rechtsaußen förderlich sind. Das postredaktionelle Prinzip der sozialen Medien wirkt sich eben auch auf die diskursive Qualität anderer politischer Milieus aus, die sich dort involvieren. Eine nachhaltige Regulation der sozialen Medien würde daher weniger auf die Bannung unliebsamer Inhalte abzielen – was immer anfällig für autoritäre Neben- oder Folgeentwicklungen ist – als auf die Stärkung redaktioneller Mechanismen. Ein solcher generalisierter Ansatz würde rechtsextreme Propaganda implizit schwächen, ohne gegenaufklärerische Dynamiken auch aus anderen Milieus zu fördern.
Unter der Prämisse der vorherrschenden Regulationslogik aber verleiteten rechtsextreme Erfolge in den sozialen Medien zuverlässig dazu, sich in ein digitales Wettrüsten zu begeben: Sie sollen mit ähnlichen Methoden gekontert werden. Mit der aktuellen Problematisierung rechtsextremer Umtriebe auf TikTok ist hier die nächste Welle des Gegenaktivismus zu erwarten, bei dem ein Mehr vom Naheliegenden aufgefahren wird. Diese intuitive Herangehensweise, die sich in die bisherige Verlaufsform der Polarisierung einfügt, ist Teil dessen, was man in der Paartherapie einen »Problemtanz« nennt. Die Konfliktroutinen der beteiligten Akteure bilden dabei ein kommunikatives System, dessen Eigendynamik in die Eskalation führt. Es handelt sich dabei also um ein Problem der Pfadabhängigkeit, bei dem Akteure an ihrem Verhaltensmuster festhalten, auch wenn sein defizitärer Output evident ist. Deswegen ist es, um eine tatsächlich evidenzbasierte Praxis zu ermöglichen, wichtig, wissenschaftlichem Reflexionswissen Geltung zu verleihen. Es kann helfen, aus dem Tunnelblick zu kommen und kontraintuitiv zu handeln.
Der demokratische Weitblick: Vermittlung statt Konfrontation
Nötig ist dafür nicht bloß Wissen über Charakter und Funktionsweise des Rechtextremismus, sondern eben auch Wissen über soziale und politische Konflikte im Allgemeinen und die Dispositionen der aktuellen Konflikte im Besonderen, also über die Eigenschaften der beteiligten Akteure: soziale Zusammensetzung, politische Kultur, ideologische Strukturierung, Organisationsstrukturen usw. Wie dieses Reflexionswissen aber auch tatsächlich zur Geltung kommt, eingedenk genau jener Eigenschaften der Zivilgesellschaft, ist die Gretchenfrage. Denn grundsätzlich gibt es in jeder Kultur, in jedem Milieu einen hohen Anteil konformistischer und opportunistischer Persönlichkeitstypen – und nur einen geringen Anteil solcher Typen, die sich wenig bis gar nicht von den Mechanismen des Gruppendenkens leiten lassen, also authentisch kritisch denken. Damit im kollektiven Zusammenhang das beschriebene Reflexionswissen zur Geltung kommt, müssen also sie, die als Transmitter von externen Perspektiven fungieren können, zur Geltung kommen. Insbesondere die Organisationsstrukturen der Zivilgesellschaft fördern dies aber nicht, so dass die Pfadabhängigkeit sozusagen stabil läuft.
Insofern kann man pessimistisch sein, dass sich eine andere strategische Rationalität durchsetzt, die nicht im intuitiven Modus der (emotionalen) Konfrontation läuft. Tatsächlich produktiver wäre mittelfristig aber der Modus der Vermittlung – auch wenn das Bauchgefühl etwas anderes sagt. Man bedenke: Deutschland ist zwar nicht in zwei Lager gespalten wie in den USA – mitunter auch, weil das Parteiensystem hier zu einer besseren Stratifizierung der Identifikationsangebote führt –, aber zwischen den Milieus, die sich v.a. um die Grünen, Linkspartei und teilweise SPD gruppieren, und den Milieus rund um die AfD, besteht eine tiefe Kluft. Man ist sich nicht nur spinnefeind, man drängt auch diejenigen, die sich dazwischen oder darüber bewegen, zur Lagerbildung. Dabei verleitet die wechselseitige Aversion Akteure auf beiden Seiten des Spektrums zu Reaktanz, also zur reflexhaften, trotzigen Ablehnung von quasi allem, was die Gegenseite sagt – ganz unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Das ist ein wesentlicher Mechanismus, warum sich – milieuunabhängig – Emotionalisierung leicht in postfaktische Dynamiken übersetzt. Zum Schaden eines aufgeklärten Diskurses.
Wenngleich also das Problem auch von links befördert wird, soll hier nur relevant sein, was das mit Blick auf den Rechtsextremismus meint. Und da ist v.a. die Lektion zu ziehen: Nein, es ist nicht vergeblich, Menschen, die bereits Anschluss an z.B. die AfD gefunden haben, von anderen Perspektiven zu überzeugen; es ist aber schwierig aus der Sprecherposition, für die die Zivilgesellschaft steht. Sie ist sozio-politisch recht homogen und wird – nicht zu Unrecht – v.a. mit einem »linksgrünen« Bildungsbürgermilieu assoziiert. Ihre Kommunikate erwachsen nicht nur aus entsprechenden Dispositionen, sondern stoßen da – als Ausdruck einer alteritären Lebensform – auf Reaktanz. Das macht sie nicht falsch, aber in ihrer Funktion sind sie eingeschränkt. Die NGOs werden Menschen, die ihnen politisch-kulturell entfremdet sind, kaum erreichen; eher bestärkt man sie noch in ihrer Haltung. Eine zivilgesellschaftliche Praxis, die nicht nur zu den Überzeugten predigen und die Lagerbildung nicht weiter verschärfen will, die also als glaubwürdiger Vermittler bei den multiplen emotionalen Reizthemen fungiert, müsste sich insofern klar erkennbar vom milieuspezifischen Gruppendenken abheben.
Das kritische Fazit: Bringing the Non-Governmental Back In
Dieser Auftrag ist umso ernster zu nehmen, als die zivilgesellschaftlichen Organisationen viele öffentliche Gelder erhalten. Ihre Glaubwürdigkeit ist also auch daran geknüpft, dass sie einen gewissen Pluralismus verkörpern bzw. in den Konflikten der Gegenwart mehr moderierend als parteiisch wirken; sonst steht man eben leicht im Verdacht, nur verlängerter Arm der regierenden Parteien zu sein. Ein so verstandenes Mandat der staatlich geförderten Zivilgesellschaft würde weniger den Kampf gegen den Rechtsextremismus und dessen vermeintlichen Normalisierer betonen, sondern die mannigfaltigen Formen des digitalen Hasses im Allgemeinen ins Visier nehmen. Etwa durch Interventionen dort, wo sich die Dinge emotional aufschaukeln und die Sachlichkeit unter Beschuss gerät. Mit einem solchen generalisierten Ansatz bekämpft man nicht nur den Rechtsextremismus immanent, sondern womöglich gar am effektivsten, weil er auch die Komplementärdynamiken dämpft, an denen er sich stoßen und gedeihen kann. Zumal dies ohnehin das Ideal einer aufgeklärten, gegen Bullshit resistenten Gesellschaft sein sollte.
Noch nie hat der Kampf gegen den Rechtsextremismus so viel Aufmerksamkeit und Geld von Seiten des Staates erhalten wie in den vergangenen Jahren. Wenn damit aber nicht das richtige getan wird, kann das sogar Schaden anrichten. Die jüngsten Entwicklungen verweisen nicht gerade darauf, dass die Maßnahmen ein effektives Design haben. Und das ist nicht nur eine Frage des strategischen Zuschnitts und der Milieus, die man damit verkörpert, sondern auch der Einbettung in staatliche Strukturen. Genau genommen ist diese Verzahnung mittlerweile so weit fortgeschritten, dass man sogar den Begriff der Zivilgesellschaft bzw. der NGOs hier in Frage stellen und plausibel diskutieren kann, inwieweit wir es bereits mit GONGOs zu tun haben. In jedem Falle ist auch die aktuelle Staatsnähe in eine kritische Betrachtung einzubeziehen. Zum einen, weil sich das auf das Problem einer glaubwürdigen Sprecherposition auswirkt und man damit – was sich in Zeiten sozialer Verwerfungen besonders rächen kann – nicht als Alternative, sondern als Teil des Establishments wahrgenommen wird. Zum anderen, weil es die Gefahr birgt, tatsächlich unkritisch gegenüber staatlichen Maßnahmen zu werden.
Zur nüchternen Analyse gehört eben auch, dass sich die Zivilgesellschaft in unüblichem Maße vom Staat abhängig gemacht hat. Das widerspricht nicht nur dem zivilgesellschaftlichen Kerngedanken, sondern auch der traditionell staatskritischen Haltung in der (antifaschistischen) Linken. Auch diese Entwicklung ist zu reflektieren. Gerade mit Blick auf das Szenario, dass nach den nächsten Wahlen die Gelder drastisch gekürzt werden könnten. Eine dermaßen abhängige Zivilgesellschaft droht dann zu kollabieren; tritt dann eine wirklich ernste Entwicklung ein, hat man dem wenig entgegenzusetzen. Leider ist jenes Szenario auch wegen der milieuspezifischen Ausrichtung der (GO)NGOs naheliegend. Auch in Sachen Finanzierung zeigt sich daher, dass ein vermittelnder Operationsmodus nachhaltiger wäre. Es mag gute Gründe geben, zivilgesellschaftliche Arbeit derart stark auf öffentliche Gelder zu stützen; aber umso mehr ist man dann gefordert, Unabhängigkeit im Ansatz zu demonstrieren und im Sinne einer allgemeinen Öffentlichkeit, nicht nur einer Teilöffentlichkeit zu handeln. Dann wäre auch die Finanzierung bei anderen parlamentarischen Mehrheiten nicht so gefährdet.
Siehe dazu auch: »Was tun …«, persönliche Meldung vom 1. Dezember 2023 zur Podiumsdiskussion im Rahmen des Jahrestreffens der BAG »Gegen Hass im Netz«; sowie »Was tun gegen rechtsextreme Raumgewinne?«, Kurzbericht zur Veranstaltung (online hier).
