14. Mai 2024 |
Der GWUP-Richtungsstreit ist vorerst entschieden. Wie Gunnar Schedel vom linken Alibri-Verlag berichtet, wurde »Team Sebastiani« auf der Versammlung in Augsburg zum neuen Vorstand gewählt. Damit schließt sich ein Kapitel des Konflikts, der von einigen gerne durch die Brille einer persönlichen Fehde betrachtet wird. Aus konfliktsoziologischer Sicht ist das wenig erhellend. Wo Konflikte eskalieren, ist es üblich, dass auf beiden Seiten Unrühmliches geschieht – auch wenn man subjektiv über Verfehlungen der ›eigenen‹ Seite eher hinwegsieht. Das bringen die »durchschnittlichen Defekte der Menschen« mit sich, wie es Max Weber nennt. Sie sind einzupreisen, wenn man Schritte unternimmt, die eine Eskalation in Gang setzen. Und im Falle der GWUP markiert diesen Punkt eben nicht die einsetzende Woke-Kritik, die mit ihrer Problematisierung eines abstrakten Phänomens bloß einen inhaltlichen Streit begründet, sondern eben die Reaktion darauf, die konkrete Mitglieder der politischen Ächtung preisgab. Warum die dabei erhobenen Vorwürfe zwangsläufig eine Eskalation auslösen, wie dieser Konflikt normativ strukturiert ist und welche populären Vereinfachungen bzw. Irrtümer diese Vorwürfe anleiten, habe ich ausführlich in einem Memo erläutert.
Das von »Team Hümmler« vorgetragene Framing schafft eben Unvereinbarkeiten. Das Verdikt, es handele sich bei einer substantiellen Kritik an Wokeness und den sog. Critical Studies per se um etwas, dass der extremen Rechten Vorschub leiste oder gar selbst extremistisch sei, impliziert nämlich, dass es sich dabei um etwas nicht Tolerables handele. Denn dass eine »anti-progressive Agenda« nichts in der GWUP verloren hat, versteht sich von selbst. Das Deutungsangebot der Gegenseite hingegen erlaubt eine Co-Existenz. Es erkennt die guten Absichten des »Woke-Phänomens« an, kritisiert aber dessen Denkfehler, Inkohärenzen, Vereinfachungen, unbeabsichtigten Effekte. Der damit verbundene Vorwurf des dogmatischen Progressivismus mag nicht schmeichelhaft sein; er konstituiert aber lediglich eine innerprogressive Gegnerschaft, wo gegensätzliche Perspektiven jeweils kritikabel und aushaltbar sind. »Team Hümmler« aber hat es – bewusst oder unbewusst – auf Entfremdung und Verfeindung angelegt. Reaktionen auf den Wahlausgang, die von einer streng manichäischen Wahrnehmung zeugen und die GWUP gar in Verbindung mit dem Rechtsterrorismus bringen, bestätigen diese dichotome Vereindeutigung und Radikalisierung.
Ich selbst werde mich für einen konsequenten Skeptizismus in den Sozialwissenschaften einsetzen. In Zeiten einer »Epistemisierung des Politischen« unterliegen sie einer verstärkten Instrumentalisierung. Es bedarf einer kritischen Prüfung von gesellschaftspolitischen Positionen, die sich in den Mantel der Wissenschaft hüllen und so einen starken Einfluss nicht nur auf unser Zusammenleben und unsere Lebensqualität haben, sondern auch in Form moralischen Drucks auf den Wissenschaftsbetrieb zurückwirken. Dass sich hier äußerst simple Gewissheiten breit machen, die das kritische Denken beeinträchtigen und gesellschaftlich polarisieren, zeigt der GWUP-Fall selbst. Denn jenes Framing, das für die Frontenbildung konstitutiv war, ist bereits Folge der Diffusion solcher politisch-normativen Gewissheiten, die manchen als unhinterfragbar gelten. Einer wissenschaftlich-typologischen Betrachtung, ob und inwiefern es sich bei Formen der Woke-Kritik tatsächlich um »neurechte« Einflüsse handelt, hat sich »Team Hümmler« von Anfang an entzogen. Das Verdikt war nicht Folge wissenschaftlicher Auseinandersetzung; die Auseinandersetzung war Folge eines politischen Verdikts. Das kann nicht Anspruch des wissenschaftlichen Skeptizismus sein.
Bericht: Gunnar Schedel, »Die GWUP hat einen neuen Vorstand. Der Richtungsstreit bei den deutschen Skeptikern ist erstmal entschieden«, auf: Humanistischer Pressedienst, 13. Mai 2024 (Bericht hier; Memo da).
