Habituelle Intoleranz

18. Dezember 2024 |

Linke Identitätspolitik lässt sich nicht einfach an Themen festmachen. Es ist ein epistemischer Modus, in dem Wahrheiten qua Sprecherposition und nicht über den argumentativen Austausch bestimmt werden. In bildungsbürgerlichen Milieus zur politischen Kultur geworden, durchdringt dieser Modus viele politische Themen und gesellschaftliche Bereiche, bis hinein in den Alltag – zumal das neolinke Bildungsbürgertum über die kulturellen Produktionsmittel verfügt, um paternalistisch auf den Diskurs einzuwirken. Durch die damit verbundenen kognitiven Asymmetrien sind kulturelle Konflikte vorprogrammiert, die sich folgenschwer mit Klassenkonflikten überlagern. Denn linke Identitätspolitik trägt einen klassenförmigen Charakter: Sie steht für habituelle Intoleranz. Mit ihr wird das vorpolitische Feld so sortiert, dass es zu einer epistemischen Scheidung zwischen der Linken und vielen einfachen Menschen kommt. Das wiederum gibt der (extremen) Rechten die Chance, in der sozialen Breite besser politisch zu punkten. Warum auch der Wahlsieg Donald Trumps mehr mit Wokeness zu tun hat, als manche glauben mögen, habe ich für die Jungle World aufgeschrieben.

Disko: Holger Marcks, »Der Preis der Distinktion. US-Wähler straften die Demokraten für die identitätspolitische Verengung der politischen Diskussion«, in: Jungle World, Nr. 50/2024 (online hier).