22. Mai 2025 |
Die Jungle World hat eine Reihe zu Woke-Kritik gestartet. Dazu lieferte ich den zweiten Beitrag, der die übergeordnete Frage behandelt, ob in Angesicht der rechten Reaktion, die ihre Dynamik auch aus dem Kampf gegen Wokeness zieht, jene Kritik nicht zu überdenken sei. Meine Antwort ist klar: nein. Denn gerade die linke Kritik an Wokeness hat genau vor diesem Backlash stets gewarnt. Er ist die Folge einer paternalistischen Politkultur der Neolinken, mit der große Teile der Bevölkerung – auch und gerade aus den unteren Klassen – vergrätzt wurden. Darauf bauen rechte Erfolge auf. Solange das linke Lager den Klassencharakter ihrer identitätspolitischen Praxen nicht verstanden hat, wird man dem schwer etwas entgegensetzen können. Mehr noch: Der epistemische Modus der Identitätspolitik steht auch für eine intellektuelle Krise der Linken. Es ist eine antiaufklärerische Denkweise, die ähnlich wie früher der Vulgärmarxismus (Stichwort: »proletarischer Standpunkt«) höhere Wahrheiten vorgaukelt, sich in Wirklichkeit aber in dichotomen Freund-Feind-Vorstellungen ergeht. Als solche wirkt sie sektiererisch und dürfte aufgrund ihrer Verbreitung im bildungsbürgerlichen Mainstream die Polarisierungsprozesse weiter antreiben. Denn Wokeness ist noch lange nicht over. Gesamtgesellschaftlich mag sich der Wind gedreht haben; die neolinken Milieus klammern sich aber weiter daran und haben die Tragweite der Problematik bei Weitem noch nicht verstanden. Kritik an Wokeness sollte daher nicht nachlassen. Sie ist bei den allermeisten, die sie pauschal als rechte Erfindung abtun, ja nicht mal angekommen.
Disko: Holger Marcks, »Links-Rechts-Schwäche. Mittels Wokeness bestimmt das Bildungsbürgertum, was als links oder rechts gilt«, in: Jungle World, Nr. 21/2025 (online hier).
